Übersicht Autobio --www.jotbezev.de --------------------- V 8- 10. September 22


 

1960ff
Hannover

Nach der mittleren Reife kam ich 1965 nach Hannover. Auf dem Bild sollte ich eine Rede im Schloss Waterloo halten (hab ich auch); den Anlass weiß ich nicht mehr. "Schloss Waterloo" nannten wir liebevoll unser Jugendwohnheim am Waterlooplatz 16 in Hannover mit der von allen akzeptierten Leitung, dem verehrten Waldemar Siesing!

INHALT
- die persönlich kommentierte politische Lage,
- Chemieschule - Jugendwohnheim - Hannover-Kolleg -
Rote-Punkt-Aktion - Trampen - Beethoven / Haydn

zunächst: Politik der 1960er Jahre
persönlich kommentiert

nach der wikipedia-liste der wichtigsten politischen ereignisse kommentiere ich persönlich.

Erster Raumflug eines Menschen (Juri Gagarin) (1961)
ja, das habe ich so mitgekriegt; war schon ne sensation, weil doch eigentlich die amerikaner ganz vorne waren. die amerikaner wurden damals verehrt, die besten und erfolgreichsten.


Contergan-Skandal (1961 bis 1970)
eine furchtbare angelegenheit. erst bei meinem chemie-lehrer-studium wurde mir die problematik klar, es gibt moleküle, die die gleiche formel besitzen, aber optisch anders aufgebaut sind. die chiralität. z b unsere hände, die sind gleich, doch spiegelverkehrt. und da gab es dann contergan, die eine variante war das schlafmittel, die andere variante führte zu missbildungen. seitdem weiß man erst, wie wichtig die chiralität ist.


Erste Antibabypille als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden in der BRD (1961)
1966. eines abends, nach einer vorlesung in der chemieschule hannover, kamen wir mit dem vortragenden vor der schule ins gespräch, über die anti-baby-pille. Er erklärte uns die wirkungsweise. dem weiblichen körper wird durch das medikament schwangerschaft vorgetäuscht. fanden wir sehr interessant.


Bau der Berliner Mauer (1961).
das war entsetzlich. in unserem klassenraum waren alle zeitungsartikel an der wand befestigt. Meist aus der bildzeitung, weil die so viele und große bilder hatte.


Oberirdische Explosion einer 60 MT Wasserstoffbombe (1961).
ich weiß nicht, ob ich das damals mitgekriegt habe.


Kubakrise (1962).
der freund von meiner schwester war gerade bei der bundeswehr gewesen und sprach davon, dass sie in bereitschaft sein müssten. ein mulmiges gefühl, war das. und ich erinnere mich, dass ich ein neues fahrrad bekommen habe und ich damit fotografiert wurde, wohl das erstes farbfoto von mir.


Elbeflut in Hamburg (1962).
da haben wir mitgefiebert, es ging mir durch und durch. schmidt wurde bekannt und wie er für hilfe sorgte. das machte eindruck.


Zweites Vatikanisches Konzil (1962–1965)
weiß nicht, ob ich das überhaupt mitbekommen habe. meine eltern waren dem katholizismus gegenüber sehr skeptisch, ich deshalb natürlich auch.


Vietnamkrieg (der USA seit 1964)
der hat mich dann zum ersten mal in die gegnerschaft zur bisher verherrlichten USA gebracht. ich war mitverantwortlicher in einem linken buchladen; wir haben einen „betriebsausflug“ nach berlin gemacht und dort in der nordvietnamesischen botschaft eine spende abgegeben, wohl 2000 DM.


Ermordung John F. Kennedys (1963)
kennedy wurde ganz besonders verehrt und deshalb war das ein großer schock. in erinnerung ist mir die szene, wo sich seine frau über ihn beugt, im auto bei einer parade in dallas. marylin manson hat in einem seiner videos diese szene nachgespielt.


Flowerpower Bewegung (1965)
auf nach san francisco. das ging ins gemüt und ich, frisch in hannover, bekam so mit, wie sich etliche entsprechend schmückten.

(stichworte: wikipedia) 760

 

Hannover

eines tages war ich dann ein normaler schüler der chemieschule poulsen-nautrup mit der abschlussperspektive eines chemotechnikers, später dann chem techn assistent genannt. der unterricht bestand aus einem tag theorie und einem tag praxis; im wechsel also. die arbeitsbögen waren sehr gut, hab ich leider später in einem wutanfall vernichtet. es gab unterschiedliche lehrer, an herrn mineur kann ich mich noch erinnern, der mochte meine haarlänge nicht, hat er aber nie gesagt. bei ihm hatten wir physik. er zeigte mal, wie man einen stecker aus der steckdose zog und kommentierte: so macht das eine frau. geraune. bei einem betriebsleiter der firma pelikan hatten wir auch stunden, bei ihm hab ich mich später beworben und war dann ein jahr bei pelikan.
die praktischen tage waren gut organisiert, wir bekamen bestimmte aufgaben. etwas fortgeschritten haben wir dann "analysen gekocht" (chemikerjargon). wir hatten dann den kationen- oder den anionen-analysengang durchzuführen und mussten bestimmen, welche stoffe in unserer probe war. wir machten das zu zweit und mit mir wollte einer zusammen arbeiten, den ich gar nicht weiter kannte. im gegensatz zu mir hatte er ein händchen dafür, deshalb war mir das recht, und ich war im unbedarft genug ;-). zwei isländer haben dort ebenfalls gelernt, mit denen ich ab und zu zusammen war. einmal las eine mitschülerin demonstrativ die bild-zeitung. ich zerriss sie und gab ihr den geldbetrag auf's pult. sie kuckte etwas "sparsam", sagte aber nichts. ganz schlecht war ich wohl nicht, denn eine mitschülerin bat mich um nachhilfe: g. wir versuchten unser glück. einmal ging es um säuren mit einem und mit zwei protonen. dass man nämlich für die zweite säure die doppelte menge an neutralisierungsflüssigkeit brauchte, ging ihr nicht auf. ich griff zu dem bild des bauzaunes, in dem zwei kucklöcher waren, man sah das gleiche, aber zweimal. ich weiß nicht mehr, ob das überzeugend war. ihre freundin mochte mich ganz gerne, ich eigentlich auch. als ich einmal nach bevensen trampen wolte, nahm sie mich im auto bis celle mit, dort wohnte sie. aber ich war einfach noch nicht soweit.
mit zwei anderen mitschülern haben wir verabredet, dass wir uns zwanzig jahre später treffen würden, "nicht unbedingt vor dieser chemieschule". denn ich hatte von meinen abiturplänen erzählt, wobei man gerne wissen wollte, ob ich das schaffen würde. leider bin ich nach 20 jahren nicht erschienen, ich fand den zettel erst jahre später. schade!!
vor dem examen mussten wir merkwürdigerweise technische zeichnungen abgeben, das war so ein alter hut, denn wir hatten nun mit zeichnen in der chemiepraxis nichts zu tun. wie fast alle habe ich auch jemanden "beauftragt", diese für mich anzufertigen, für 50 mark glaub ich. das examen hab ich wohl ganz gut bewältigt, aber zwischendurch hatte ich einen durchhänger, der tod meiner eltern setzte mir doch wieder zu. im sozialamt rümpfte man die nase über meine schlechten zensuren und die angestellte sagte: "das können wir aber nicht fördern." ich habe nichts mehr davon gehört, im verdacht habe ich unseren heimleiter, der sich bestimmt für mich eingesetzt hat. waldemar siesing, ein wunderbarer mensch!

dann war ich erstmal als chem techn assistent bei den pelikan-werken in hannover nord im labor. ich dachte schon jetzt daran, das abitur nachzuholen, und dieses eine jahr im labor hat mich darin bestärkt. als chem. techn. assistent war ich lediglich unterer ausführender bei irgendwelchen untersuchungen, wir haben zb patente nachgearbeitet, immerhin nicht uninteressant. ich war helfer von einem hochqualifizierten menschen, herrn r. (ich glaube, er war chemotechniker, das ist die alte berufsbezeichnung für den chem techn assistenten), er hatte also keinen akademischen grad; deshalb wurde er nicht wie ein akademiker eingesetzt. es war aber gerade ein neuer akademiker eingestellt worden, der meinen "chef" dauernd gefragt hat. das ganze fand ich sehr unfair. herr r. wirkte wohl auf viele nicht so gefällig // angenehm // freundlich, irgendsowas (vll wurde er deshalb so behandelt?). wir beide kamen

aber sehr gut miteinander aus. einmal kam ein vertreter einer chemiefirma an und den musste ich "übernehmen", obwohl ich ja nicht so recht bescheid wusste. ja, das war schon merkwürdig; mein herr r. mochte keine fremden menschen. - diese eindrücke verarbeitend verstärkten sich meine überlegungen in bezug auf ein studium, das der chemie. aber, schnief, der literatur war ich doch immer sehr zugetan!? ich vertagte die entscheidung auf die zeit nach dem abitur. habe die aufnahmeprüfung für das hannover-kolleg abgelegt und bestanden.

wir hatten einen tollen literaturunterricht, u a über den schriftsteller arno schmidt. wir waren begeistert von seinem buch "das steinerne herz". (viele bücher habe ich von diesem merkwürdigen und elitären einsiedler gelesen. "tina oder über die unsterblichkeit" - herrlich!) ein gewaltigen kick in richtung germanistik. unser deutschlehrer hieß carz, war 29 und ich, anfang zwanzig, hielt ihn für alt.

leider haben wir uns mit ihm so überworfen, dass wir schließlich seinen unterricht bestreikt haben und solche sachen. bei einer aussprache, daran erinnere ich mich, sagte einer, jürgen, sag du doch mal was. ich fand es wohl sinnlos und so schwieg ich. dann sagte derjenige, ja, wenn jürgen nichts sagt, dann sagt keiner mehr was. dieser rolle war ich mir gar nicht bewusst, auch wenn ich in den personalrat gewählt worden war. aber wir waren hier ziemlich resigniert.

es gab nicht alle normalen fächer auf dem hannover-kolleg, bio zb leider nicht, englisch war anfangsunterricht, da machten wir das gleiche wie auf der realschule und vom chemieunterricht, auf den ich vorher sehr positiv geblickt hatte, hab ich mich beurlauben lassen. der chemielehrer fing mit den griechen an, feuer, wasser, erde, luft, da bin ich fast geplatzt. für die anderen war das sicher ein interessanter ansatz, aber für mich mit meinen chemie-kenntnissen war das unzumutbar. (ich hätte das sehr viel diplomatischer anfassen können, aber diplomatisches verhalten musste ich erst lernen; schließlich musste ich praktisch mit 14 erwachsen sein und da fehlte eben manches.)

im physik-unterricht erinnere ich mich an eine schöne situation. physik ist keineswegs mein lieblingsfach, der anfang ist zunächst banal, mechanik etwa, und dann geht es mit formeln los und bei "zeit zum quadrat = t hoch 2" schaltet mein gehirn ab. chemie ist für mich was ganz anderes, obwohl ich in meinem späteren chemie-lehrer-studium in oldenburg erkennen musste, dass die chemie nur ein spezialgebiet der physik ist. (biologie und medizin letztlich ebenso und über allem thront die königin mathematik! ich greife mit dieser anekdote vor: im chemie-studium fragte ich einmal meinen prof, ob denn die chemie und die biologie als spezialfälle der physik anzusehen seien. neeeein, sagte er, machte dann eine lange ausführung, die mit einem (unausgesprochenen) ja endete. - er war aber ein lieber kerl, wir haben mit ihm manchmal trivial persuit gespielt. er wusste viel, nur klatsch nicht. ;-)

 


eric burdon (er trägt die gleiche frisur wie ich zu der zeit) und die animals - eine musik, die ich bis heute gut finde; sie spielten damals auch im starclub, heute große freiheit 36. - gegensatz: wie liebte ich tell me von den rolling stones; heute kann ich mit der gruppe nichts mehr anfangen. eric habe ich vor jahren auf der stadtpark-bühne in HH gesehen. - berühmt war das house of the rising sun und einige andere, ich hab hier san francisco nights ausgewählt, weil es dem heutigen geschmack am ehesten nahe kommt.
das antikriegslied sky pilot darf ich nicht vergessen: vietnam-krieg - schrecklich! wenn ich das lied höre, stehen mir die tränen in den augen und erinnere ich mich an

• die spende für nord-vietnam, die unsere buchladengruppe anfang der 70er nach berlin der nord-vietnamesischen botschaft überbracht hatte.
• die besichtigung der zugleich stattfindenden amerikanischen parade, die wir uns ankuckten, ich zitterte vor wut.
• das spielen der dudelsackpfeifer in sky pilot, es ist so eindringlich und unheimlich. in schottland habe ich mal einen dudelsackpfeifer gesehen, aber das ist nichts gegen die hundert oder mehr, die zum jubiläum der waterlooschlacht auf dem waterlooplatz, also direkt vor unserem wohnheim in hannover, ein konzert gegeben haben. das war so schaurig, gut dass das nur ein konzert war.
• eine deutschstunde am viti in einer 10. klasse, thema schmerz, die ich (inspiriert von einer hr3-sendung) außer der reihe gemacht habe. da verwendete ich auch den sky pilot und john lennons lied mother, wahrscheinlich auch brothers in arms von dire straits.

 


zurück zum physik-unterricht. unser lehrer g. baute eine schaltung auf, es funktionierte nicht. ratlosigkeit. ich verglich den schaltplan an der tafel mit dem versuchsaufbau und sagte, das blaue kabel muss nicht da, sondern da angeschlossen werden. puuh, das war richtig, die lampe brannte. sicher eine kleinigkeit, doch ganz nett.

praktisch hatte ich mich später dann doch mit physikalischem befasst, nämlich als die digitaltechnik "aufkam". das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, eine welt ohne laptop und handy. ich war als einer der ersten dabei (ein kollege damals: auch das noch!) ich sagt und fühlte: endlich! ich lernte im selbststudium das programmieren (das war basic und pascal), hab mal ein programm für die note einer abi-klausur geschrieben, mit unterschiedlich vielen aufgaben und mit unterschiedlicher wertigkeit. das habe ich oft angewendet, bin bis heute stolz darauf. aber das problem, dass das programm bei ,5 abrundete und nicht aufrundete, konnte ich nicht lösen. ich hab das programmieren dann sein gelassen, weil ich an meine grenze gestoßen war. dafür habe ich heute ein sehr gutes verständnis für algorithmen, die dabei sind, unser heutiges leben zu bestimmen; zwar technisch-praktisch, aber ohne jedes menschliche empfinden. wenn der programmierer drei antworten für denkbar hält, ich aber eine vierte nennen will, dann hab ich ein problem. ein sehr einfaches beispiel für die macht der algorithmen. dann las ich in der BTX-zeitung der telekom (BTX, auch datex-j genannt; vorläufer des internets), wie man eine homepage programmiert. da war ich gleich feuer und flamme und diese seiten sind das ergebnis davon.


irgendwann kam dann das abitur, ich war recht gut vorbenotet, aber meine schriftlichen abiturarbeiten waren höchst mäßig, in mathe hatte ich sogar eine 5. wir konnten die mündlichen prüfungsfächer nicht auswählen, wie es an normalen schulen möglich war, denn ich wäre niemals freiwillig in eine mathe-prüfung gegangen, das musste ich aber nun. ich

 

 

auf meinem zimmer im "schloss waterloo" (jugendwohnheim)

rechnete die aufgabe, war ihr auch gewachsen, hatte das ergebnis aber nicht herausgefunden, da ich wohl irgendwo einen denkfehler gemacht hatte. ich wurde von meinem mathelehrer (wieder herr g.) zur prüfung gerufen und ich raunte ihm zu, dass ich das ergebnis nicht hätte. die prüfung lief gut, ich konnte die aufgabe ja und bevor es zur lösung ging, ein mehrschrittiger weg, sagte herr g.: wunderbar, dann schreiben sie mal das ergebnis an und nannte mir das ergebnis, wow! ich konnte dann die folgenden fragen gut beantworten und nach der notenbesprechung wurde mir sogar eine eins verkündet und einer aus der prüfungskommision rief mir zu, herr behn, wir brauchen noch mathelehrer. vll war das ironisch gemeint, aber mir hat das sehr gefallen.

nun stand ich vor der frage, soll ich mich mit dem lehrerstudium der germanistik zuwenden oder entspr meinem beruf der chemie. ich wendete mich an unseren schulleiter o. und er riet mir zu germanistik mit politik (ein über alle maßen beliebtes fach), denn wenn ich germanistik und chemie machen wollte, müsste ich in ganz andere bereiche der universität gehen. das leuchtete mir damals ein, später nicht mehr. ich studierte also germanistik und politik, wobei ich mit dem fach politik in der schule erst warm wurde, als man das internet verwenden konnte; zB diskutieren mit wahlergebnissen von gestern und nicht mit zahlen, die im buch etwa vier jahre alt waren; d h von der wahl vor vier jahren. so war das, unglaublich heute.

doch meine durchs studium unterdrückte neigung zur chemie wurde in den ersten unterrichtsjahren immer stärker. unser schulleiter am viti war selbst chemiker und hat meinen wunsch, chemie-anfangsunterricht zu geben, sofort umgesetzt. ich kniete mich in den untericht rein, war auch, kann man wohl sagen, erfolgreich und hab es dann mit einem "studium-nebenbei", d h anderthalb tage pro woche in oldenburg an der uni, wobei mir dieser tag in der schule freigehalten wurde, bis zum chemie-examen gebracht, also unterrichtsbefähigung auch für die oberstufe. ich durfte also auch einen LK-chemie machen, ich begnügt mich aber mit GKs, zur freude meiner chemie-kollegen und -innen.

also schrieb ich mich in der tu hannover für germanistik und politik ein. bei der einschreibung gab es eine große schlange und mitschüler rolf, der weiter vorne war, rief, was ich denn machen wolle. lehrer war für mich klar und ich antwortete ihm: lehramt für realschule. "bist du bekloppt", rief er. als ich dran war, ließ ich mich für lehramt an gymnasien einschreiben - ich hab es nie bereut.

1969 gab es die rote-punkt-aktion in hannover. war das toll. die straßenbahn wurde bestreikt und fuhr tagelang nicht. die leute standen zum feierabend an der haltestelle und … jetzt die rote-punkt-aktion: wer ein auto hatte, fuhr dann zur haltestelle und nahm leute mit. einer von uns hatte einen VW-bus von seiner firma und so fuhren wir hin und fragten: wer muss weit weg, und dann luden wir leute ein. das haben wir öfter gemacht. herrlich! dieses tolle gefühl der solidarität!

dies ist ein screenshot des kleinen films: Rote-Punkt-Aktion in Hannover. hinten sieht man einen VW-bus. das waren wir - ganz bestimmt.

769 60er nachschlag T2


 

Trampen 1/2

als älterer jugendlicher und junger erwachsener bin ich häufig getrampt; autostopp hieß das anderswo. ich bin durch deutschland gefahren, nach england und "nach Hause" von hannover nach bevensen.

ich fasse erstmal einige fahrten nach bevensen zusammen.

am sonnabend morgen, kein unterricht in der chemieschule, bin ich mit der straßenbahn richtung altwarmbüchen gefahren und noch ein, zwei kilometer zu fuß gelaufen; heute ist das alles autobahn.

einmal wurde ich von einem betrunkenen mitgenommen. betrunkene waren besonders hilfsbereit. ich glaube, mein fahrer hatte auf der strecke in eschede kurz was zu erledigen, ich könnte ja weiter versuchen. wenn es nicht klappt, nimmt er mich weiter richtung bevensen mit. nee, nochmal in dieses auto, nein, ich versteckte mich hinter ein paar bäumen an der straße und wartete ihn ab, immerhin hatte ich diesmal genug zeit; als tramper hat man die meist nicht; zeit ist nicht kalkulierbar. dann kam das auto, fuhr an mir vorbei und ich konnte wieder an der straße stehen und die hand rausstrecken.

einmal nahm mich eine frau mit, wir waren uns gleich sehr sympathisch. möchten sie ein belegte scheibe brot, ich hab noch eine. gern, ich hatte hunger. auf halber strecke war sie zuhause, nur wenig entfernt von der bundesstraße. ob ich kurz mitkommen wolle, bei ihr zu hause läuft ein fest, ich fahre sie dann wieder zur straße. viel weiß ich dann nicht mehr, nur dass sie mir gleich ihre tochter vorstellte, die aber keinerlei interesse hatte, mit mir zu reden. hinterher dachte ich, dass die frau es schade fand, dass ihre tochter so desinteressiert war. sie brachte mich dann zurück zur bundesstraße und mich nahm dann bald jemand mit.

einmal kontrollierte ein motoradfahrender polizist meine papiere.

als ich mal bis uelzen kam, noch 15 km, stand ich am ortsausgang. ein auto fuhr vorbei, der fahrer machte dieses zeichen: "bin nur vor ort unterwegs"; tja, mensch, warum nimmst du mich nicht mit, denn ich wollte auch „nur“ vor ort bleiben, das war der chef vom eiscafé pellegrini aus bevensen.

als ich einmal zuhause angekommen war, sagte mein schwager zu mir: du gehst erst zum friseur, dann kannst du hier übernachten. nein, sagte ich, und ging zu meinem freund michael, wo ich übernachten konnte.

meine haare waren jahrelang immer wieder thema.sowas gibt es heute nicht mehr.
mädchen sangen mir mal zu, ich wünsch mir zum geburtstag einen beatle. einmal kamen wir nach dem theaterbesuch in hannover im löwenbräu an: sie kommen hier nicht rein! (wir waren im anzug!) und dann bei einer freizeit des hannover-kollegs in verden fuhren wir mit einem käfer zu einer kneipe und krökelten da. da kam einer, legte mir einen groschen auf den rand des spieltisches und sagte: für den friseur. kaum zu glauben heute. wir spürten eine aggressivität bei ihm und seinen freunden und so besprachen wir uns, dass wir auf kommando die kneipe verlassen und zum auto rennen wollten. Als alle bezahlt hatten, liefen wir schnell los, erreichten das auto, ohne dass wir weiter schwierigkeiten bekommen haben. (auf meiner england-tour hab ich noch eine haar-geschichte erlebt.)

die mutter von meinem schwager war herzensgut, wie man so sagt, und sie fand das nicht gut von ihrem sohn. das leben ist so kurz, sagte sie, warum muss man sich das unnötig schwer machen. mein schwager war an sich auch wie seine mutter. schließlich nahm er mich zwei jahre in seinen haushalt auf, die hätten mich sonst ins waisenhaus gesteckt. aber wir haben keinen draht zueinander gefunden. darunter litt auch meine schwester etwas. im grunde hab ich ihm nie gedankt, mich aufgenommen zu haben und deshalb kümmere ich mich nach seinem tod auch besonders um meine schwester. weil ich ein schlechtes gewissen habe. bei toten kann man sich nun mal nicht mehr entschuldigen.

wo ich in überall rumgefahren bin, weiß ich heut nicht mehr genau, frankfurt, köln, trier, luxemburg, england. da war ich auf jeden fall.

ich wurde direkt am grenzübergang nach luxemburg abgesetzt. ich ging über die grenze und wartete dort, um meinen ausweis vozuzeigen. der grenzbeamte herrschte mich an, gehen sie doch weiter, hier gibt es nichts zu kaufen. wenn man die tortur der DDR-grenze kannte, dann war das ein erlebnis! über die grenze ohne kontrolle!! auch in england gab es lediglich den immigration officer, der ließ einen freundlich weiterziehen, nachdem er ein paar fragen gestellt hatte.
in luxemburg, bei herrlichem wetter, schloss ich mich einer gruppe an und wir tranken an einem großen tisch draußen bier. als so etwa alle ausgetrunken hatten, stand plötzlich einer auf und ging weg, die anderen relativ eilig auch. ich haute dann auch ab, obwohl mir das sehr unangenehm war. aber allein bezahlen? vll hätten die gesagt, ich solle die ganze zeche bezahlen?

einmal nahm mich ein herr im citroën DS21 mit, ein ziemlich teures auto. er erzählte so allerlei, schmiss eine plastiktüte aus dem fenster und sagte, die produziere er und wenn es mal blöd kommt, dann fahre ich woanders hin, die welt ist groß. ziemlich ekelhafter typ.
einmal hielt sogar eine isetta, dieses komische gefährt. ich nehme sie mit, weil der wagen eine bessere straßenlage hat, wenn zwei personen drinsitzen. naja.

in köln war ich in der jugendherberge, ich frankfurt besuchte ich die mannschaft des dortigen linken buchladens. es gab bei dem frankfurter und dem berliner buchladen einen himmelweiten unterschied. in frankfurt war ich praktisch nur zur kenntnis genommen worden, aber nicht unfreundlich. mehr aber nicht. in berlin hatten wir uns zwar vorher angemeldet, aber da waren wir ganz offensichtlich willkommen. wir konnten da übernachten, feierten zusammen und besuchten einmal ein konzert eines alten blues-musikers, champion jack dupree.
die berliner wollten da hin, wir natürlich mit. der auftritt war in der potsdamer straße; selbst für berliner nicht leicht zu finden, denn in berlin gibt es mehrere potsdamer straßen. aber sie fanden die richtige und wir waren schließlich da. er saß am klavier, spielte unheimlich geschickt, herrlich anzuhören. wir zuschauer machten sozusagen einen kreis um ihn rum. irgendwann ging eine junge frau an ihm vorbei. er hörte mit dem spielen auf und fragte, wohin sie wolle. sie müsse mal austreten, sagte sie. achso, sagte er und spielte weiter. das wirkte nicht wie eine störung, sondern wie ein musikalisches gesamtkunstwerk. es war ein erlebnis.

auf einer rückfahrt (regen, regen – gab es es auch mal) nahm mich ein geistlicher aus fulda mit, er war wohl enttäuscht, dass ich nicht nach fulda wollte. welch ironie des schicksals, da ich doch mein referendariat jahre später in fulda absolvierte.

(763) 60er 3


Trampen 2/2


das zweite (und letzte) mal mit einem betrunkenen unterwegs, irgendwo in NRW. der mann war auch sehr freundlich und machte dann meinetwegen einen großen umweg. so, von hier sind es nur noch 5 km, ich kann dich da aber eben hinfahren. so höflich wie möglich hab ich gesagt, dass ich schon zurecht komme. da konnte ich dann aussteigen. gottseidank.

eines tages sagte ich meiner lieben oma, (ich liebe sie noch heute über alles! auf dem foto sind meine ältere schwester christa, der drömel bin ich - wie ich da kucke -und meine liebe oma auf einer feier), dass ich eine tramp-tour nach england machen will, sagte ich meiner lieben oma. mach das nicht, sagte sie, wohl wissend, dass ich das trotzdem machen würde.

unterwegs! auf einer auffahrt hielt plötzlich ein streifenwagen an. hier dürfen sie nicht stehen. aber es geht doch nur hier, sagte ich etwa. er antwortete:“ das muss dem schützen doch egal sein, wohin er schießt.“ irgendwie so. nazi, dachte ich. als der wagen weg war, stellte ich mich da wieder hin. der beamte war alt und der fahrer des streifenwagens war jung. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, was wohl der junge polizist gedacht hat.

ich kam einigermaßen gut an die belgische grenze, da stand ich mit einem anderen tramper, ein auto hielt und der fahrer fragte, wo wir hinwollten. an die küste, wir wollen nach england. ich will eigentlich nur nach brüssel, aber ich fahre euch mal dahin. echt nett, der mann.

angekommen in london hab ich mich dann in einem ersatzgebäude einer londoner jugendherberge befunden, ein altes fabrikgebäude in blackfriars, wo heute die tollen wohnungen sind. da musste man hin, da die jugendherbergen völlig überlastet waren. später erzählte ich einem mädchen mit meinen sparsamen englischkenntnissen, i made a roundabout in britain. sie verstand mich, eine tour bis zur schottischen grenze und dann zurück, ne kleine runde. einmal musste ich in eine pension, nichts ging mehr, darby heißt der ort. beim frühstück sollte sich jeder vorstellen, als ich dran war und sagte, dass ich aus deutschland sei, herrschte plötzlich ein betretenes schweigen. ein deutscher, in unserer pension.

dann kam ich in den lake destrict, dort war es so schön, dass ich gleich mehrere tage blieb. ich lernte zwei jungs aus hildesheim kennen, mit denen ich abends in die nahe kneipe ging. (jetzt die zweite haarstory.) an der theke standen mehrere männer, arbeiter vll. der eine von ihnen hatte schulterlange haare, eher noch länger, die anderen normale, würde man damals und wohl auch heute sagen. ich dachte an verden und vermutete (echt!), dass es jeden moment zu einer wilden schlägerei kommen würde. aber nichts geschah. nichts!! Sie unterhielten sich einfach, ganz entspannt. ich spürte förmlich, wie das 3. reich mein erleben in deutschland geprägt hatte. (jahre später hab ich mal in zeven bei der post einen jungen mann mit einem irokesenschnitt gesehen. ein alter mann auf der anderen straßenseite sah ihn und lachte. ja, dachte ich, lachen kannst da drüber, das finde ich ok.)
einmal wollten die beiden aus hildesheim und ich einen berg besteigen, den starkle tarn. (vor ein paar jahren war ich nochmal da, man kam nun gar nicht richtig an den berg ran.) als wir so ne stunde geklettert waren, wurde der eine ganz weiß im gesicht: ich kann nicht weiter, stöhnte er. dabei war das gar nicht so steil, ohne bergsteigerausrüstung kamen wir gefahrlos zurecht. wir zwei kletterten weiter und nahmen ihn hinterher mit runter.

wieder in london wollten welche zum festival, rock and blues hieß das wohl irgendwie. da kaufte ich mir auch ne karte und fuhr zum ersten mal auf ein festival. john mayall spielte da, kannte ich noch gar nicht. auch jethro tull kannte ich noch nicht, der später zu meinen favoriten gehörte. locomotive breath war ein hit von denen, die man in discos spielte,


der sänger ian anderson hat klassische flöte studiert und schwang sein eines bein immer um den mikrofonständer. sowas vergisst man nicht.

wenn ich den DJ bei unserer kohltour machte, war das lied immer dabei. (und: als ich mit meiner kollegin karen h. in lüneburg mal beim tanz in den mai war, war jethro tull auch dabei.

nach dem festival (nur ein tag?) kamen wir in london in der victoria station an. abends in einer kneipe, ich wechselte paar worte mit einem einheimischen und fragte den einen "naiv", ob er cockney sei; o, da hab ich wohl was falsches bzw dummes gesagt. er schwieg daraufhin.


dann wieder mit der fähre auf das festland. ob ich eine billige übernachtungsmöglichkeit auf dem schiff genommen hatte, die pullman-liege, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, ich schlief auf irgendeiner bank.
beim trampen kam ich dann bis zum abend an die belgisch / deutsche grenze. mit zwei anderen trampern musste ich mir eingestehen, dass es heute nicht mehr weiter ging, nur autobahn und weiden. wir machten es uns unter einer autobahnbrücke bequem ;-) mein geld hatte ich sowieso schon ausgegeben: für einen schirm für den hydepark, obwohl es danach prompt nicht mehr regnete, und für eine schallplatte von donovan. der boden unter der autobahn war schräg, harter beton, der beton war aber ziemlich warm. (das wetter war gut!) am morgen, immer noch unter der brücke, war da ein bauer in der nähe und einer bat ihn auf französisch um etwas milch.
irgendwie bin ich dann nach hause gekommen, also nach hannover, das war mein zuhause, mein zimmer im jugendwohnheim.

60er 4 763?